Endgültig löschen?
December 01, 2017
Es hilft alles nichts. Nette Geschichten über den Alltag erzählen, das ist eine Ausflucht für zwischendurch. Gerne würde man sich wieder dem täglichen Leben überlassen. Möglichst bald soll alles weitergehen. Vielleicht ein bisschen anders. Aber bald wieder normal. Ohne diesen Schmerz ...
Doch sobald man zur Ruhe kommt, ist auch er wieder da. Oder was ist es, das einen hemmungslos heulen lässt, sobald man sich nicht mehr ablenken will und sobald niemand zuschaut? Schmerz, weil er weg ist, der Mann? Mein lieber Cordes, ich vermisse dich. Jeden Abend schreibe ich jetzt einen Brief.
Die Antwort bleibt aus.
Heute auf Skype: diesen Kontakt endgültig löschen? werde ich gefragt. Ja, endgültig. Ich klicke drauf. Endgültig gelöscht. Auf meinem Handy: Endgültig löschen. Sein Bankkonto: endgültig aufgelöst. Das Wegwerfen seiner Steuerunterlagen gibt da schon mehr Befriedigung. Und bei der GEZ-Mahnung: zurück an Absender, Empfänger verstorben, kommt sogar klammheimliche Freude auf.
Über diesen Schmerz wollte ich schreiben. Woraus besteht der eigentlich? Reue ist mit drin in dieser Gefühlsmischung. Reue, weil ich bis zuletzt nicht wahrhaben wollte, dass er stirbt und wir uns nicht so verabschiedet haben, wie es für uns angemessen gewesen wäre. Reue auch über meine Ungeduld mit ihm, wo es ihm schon schlecht ging. Aus heutiger Sicht kann ich nur den Kopf schütteln über mich.
Dann frage ich mich, ist es auch der Schmerz des Allein-Seins? Nie wieder schnell mal anrufen können, nie mehr seine Hand ergreifen beim Spaziergang durch den Winterwald, die Bachkantaten muss ich jetzt alleine anhören und niemand teilt mehr meine altmodische Bewunderung für Stefan Zweig. Dann ist da auch noch dieses Ding mit dem Gedanken-lesen. Auch das muss ich jetzt alleine tun. Sogar einen neuen Klodeckel hab ich angeschraubt, dafür habe ich zwar einen ganzen Sonntag gebraucht, er wackelt auch ein wenig, aber ich hab's geschafft.
Aber ich liebe auch das Allein-Sein, wir haben es immer geübt, wir waren kein symbiotisches Paar.
Und – ich muss es zugeben: Gerhard schenkte mir mit seinem Tod auch einen Zugewinn an Freiheit. Mein Leben ist wieder ganz weit, als wäre ich jung und mit meinen zarten 59 Jahren kann ich mich von einem kompletten Haushalt befreien, leer werden, leicht, ohne Dinge. Alles ist plötzlich wieder möglich. Schritte ins Offene. Das fühlt sich gut an.
Dann lasse ich den Schmerz wieder zu und merke, es ist eigentlich die Liebe, die so schmerzt. Sie bricht sich erst durch den Tod richtig Bahn. Ich trauere um das Unvermögen, sie im Leben nicht in dieser Tiefe gelebt haben zu können.
zurück
Bild: Gerhards Urnenbestattung im Wald