Die Schnitterin
June 05, 2018
Eigentlich wollte ich über Friedrich Nietzsche schreiben, aber dann musste ich eine Wiese mähen. Ein Freund hatte mich darum gebeten. Sie war schon überfällig, fast einen Meter hoch. Eine Wiese - bitteschön - das ist kein Rasen. Ein Rasen hat mit Natur nichts zu tun. Aber in einer Wiese!
Da lebt es ...
Trotz Elektromotor an meiner Sense fühlte ich mich spontan verbunden mit meinen Wurzeln, denn alle meine Ahnen haben Wiesen gemäht und Heu gemacht. Der Duft, die Hitze, der Schweiß, die Anstrengung. Es war, als käme ich in eine längst vergessene Heimat zurück. Am liebsten hätte ich ein weißes Kopftuch getragen anstatt der läppischen amerikanischen Schirmmütze meines Freundes.
Drei Stunden Arbeitsmeditation. Da kann man schon auf Gedanken kommen:
Krieg, dachte ich, nichts als Krieg ist das, als ich in dieses Biotop einbrach mit meinem gewalttätigen kreischenden Gerät. Tausende von Käfern und Spinnen flohen, weniger glimpflich kamen Schnecken und Raupen davon denn sie wurden zerhäkselt, manche Gräser bogen und wandten sich, aber ich erwischte sie dennoch. Mohn, Skabiosen, Wiesensalbei, wilde Möhren, Ampfer, alles fiel meiner Zerstörungslust zum Opfer.
Du sollst nicht töten.
Manche Pflanzenstrunke waren schon etwas verholzt, da musste ich mehrmals Anlauf nehmen, um sie nieder zu dreschen und die Kamille am Feldrand beugte ihre hundertfachen Köpfe, als wolle sie um Gnade bitten, doch am Schluss habe ich auch sie geschnappt. Keines entkam meinen Schnitter-Armen.
Schnitter.
Unsere Vorfahren mussten dieselben Gedanken gehabt haben beim Mähen. Auch sie brachten Tod und Verderben in diesen wunderbar lebenden Organismus Wiese. Deshalb nannten sie den Tod Schnitter. Eine bekannte Tatsache füllte sich für mich plötzlich mit Leben. Nur mit der Sense blickt man genauer hinein. Mit Mähmaschine und Traktor sieht man nichts mehr.
Permakultur?
Aber auch da muss man Salat und Kräuter abschneiden, die man essen will. Und was machen die mit den Schnecken? Ein Permakulturgärtner hat es mir verraten. Ich mag's hier nicht weitersagen. Und was passiert innerhalb des Biotops? Wachsen oder weichen.
Lob der Aggression
Dieser Buchtitel kam mir in den Sinn. Wie viel Aggression ist nötig, um auch nur ein dreigängiges Menü auf den Tisch zu bringen? Ja, Aggression ist eine der fundamentalen Kräfte, die die Welt zusammen halten. Es ist die Lebenskraft an sich, die ordnende, gestaltende Kraft. Aggression gehört zum Menschsein, zum Tier-Sein und ja, es gehört auch zum Pflanze-Sein. Jedes Lebewesen schützt und gestaltet seinen Raum.
Du sollst nicht töten
Niemand kann das fünfte Gebot einhalten. Wenn naturgemäße Aggression unterdrückt wird, entsteht Aggressivität. Trägt das Christentum - genauer gesagt - tragen nicht alle drei mosaischen Religionen deshalb ein so hohes Gewaltpotenzial, weil sie versuchen, die gesunde Aggression niederzudrücken?
Gewaltfreiheit heisst das fünfte Gebot auf Neu-deutsch. In immer neuen Worten werden Illusionen genährt und unsere natürlichen Kräfte der Aggression geleugnet. Das erschwert den bewussten Umgang damit. Gewalt versteckt sich gerne hinter frommen Worten und guten Taten. Und hat nicht der grosse Gandhi am Ende die Bombenflugzeuge gesegnet, die nach (dem heutigen) Pakistan flogen?
Wir mögen den Mumm nicht mehr aufbringen, ein Tier zu töten und auszuweiden, wir wollen nicht mehr hinschauen, wie es stirbt und am Liebsten haben wir das Schnitzel auf dem Teller, ohne den Vorgang zu erleben, wie aus einem Tier ein Lebensmittel wird.
Ist etwa die Massentierhaltung - welche unbestritten ein Produkt des christlichen Abendlandes ist - nicht die psychologische Folge davon?
Auch die Mode der Veganer ändert nichts: Pflanzen leben auch.
Macht Euch die Erde untertan.
Dieser Gottesbefehl ist eingehalten worden wie kein anderer, während "Du sollst nicht töten" dagegen niemals befolgt wurde.
Mit dem Gebot Machet die Erde untertan. hat ein neurotischer Gott allem, was nicht Mensch ist, das Lebensrecht abgesprochen.
Respekt und Liebe für die Schöpfung, für Flora und Fauna und für die Erde an sich, wäre dienlicher gewesen.
Anstatt mit Dankbarkeit die benötigten Tiere und Pflanzen zu töten und zu essen, machen wir gleich die ganze Erde zur ausbeutungsfähigen Sache. So, wie es in der Bibel anscheinend geboten wurde. Längst sind wir es uns nicht mehr bewusst aber bis heute leben wir dieses brutale Paradigma.
Paradigmen und Mythen sind wie die Software eines Computers: wir nutzen die Maschinerie, fragen aber nicht, was im Hintergrund wirksam ist.
Genau dieses biblische Gesetz ist es, das die Maschinerie der Zerstörung der Erde im Innersten am Laufen hält: Macht euch die Erde untertan.
Nun bin ich doch ganz nahe an "meinen" Nietzsche herangekommen, den ich erst in den letzten Wochen entdeckt habe und über den ich nicht mehr aufhören kann, mich zu begeistern.
Für heute mache ich Schluss, aber ich komme darauf zurück!
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